Strombranche setzt auf Wachstum

Die Kraftwerksreserven schmelzen, der Netzausbau ist zu langsam, gleichzeitig zeigen sich die Ökoenergien so marktfähig wie nie zuvor.

 Stefan Kapferer sieht eine positive Zukunft seiner Branche: „Die Elektrizitätsmarktwirtschaft wird wieder eine Wachstumswirtschaft“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am Montag auf der Hannover Messe.

Auch Hardwarehersteller ABB sieht den Stromsektor als Wachstumstreiber. Es gebe jenseits eines Netzausbaus mit neuen Technologien wie der Gleichstromtechnik einen Bedarf zur Aufrüstung und Hochskalierung existierender Stromnetze. Dazu würden neue Technologien benötigt, um mit der Komplexität fertig zu werden, machte Claudio Facchin, Leiter Bereich Stromnetze bei dem Schweizer Konzern, in Hannover deutlich: „Aus unserer Sicht ist das mittel- und langfristig ein Markt, der wachsen wird.“ Als einen der Haupttreiber sehen der BDEW und der Fachverband Power Systems im VDMA die Sektorenkopplung: Strom wird über die E-Mobilität im Verkehrssektor und im Gebäudebereich eine immer größere Rolle spielen.

Konkret drückt Kapferer der Schuh bei der Entwicklung des deutschen Kraftwerksparks: Laut der auf der Messe vorgestellten Kraftwerksliste seien 1832 MW an sicher zur Verfügung stehender Leistung in Form konventioneller Kraftwerke im Bau, 26 038 MW würden voraussichtlich bis 2022 stillgelegt. Kapferer hält daher die „Debatte zu Überkapazitäten für überholt“. Zwar würden immer mehr erneuerbare Kapazitäten zugebaut, aber der Netzausbau hinke erheblich hinterher: „Wir sind beim Leitungsausbau zu langsam“, mahnte er.

Dadurch werde es teuer: So lagen die Redispatch-Maßnahmen im ersten Quartal dieses Jahres allein bei 5,7 TWh. Zum Vergleich: Das seien 52 % dessen, was 2015 anfiel. Und das war bisher das Jahr, in dem am stärksten in dieser Form in die Netze eingegriffen werden musste.

Angesichts des abzusehenden Rückgangs konventioneller Kraftwerkskapazitäten sieht Matthias Zelinger, Geschäftsführer von VDMA Power Systems, auch ein Ende der derzeitigen Praxis, den sogenannten Überschussstrom von Ökostromanlagen abzuschalten. „Wir können nicht davon ausgehen, dass wir in den 2020er- und 2030er-Jahren Strom produzieren, für den es keine Nachfrage gibt.“

Um bis dahin notwendige Zukunftstechnologien wie Energiespeicherlösungen zu entwickeln und zu etablieren, spricht sich der VDMA in Hannover dafür aus, den EU-Emissionshandel zu reformieren, um „dringend benötigte zusätzliche Impulse für den Klimaschutz zu setzen“, so Zelinger. Als Beispiel, was möglich sei, nannte er Großbritannien: Dort habe es am Freitag letzter Woche erstmals einen Tag gegeben, an dem es keine Einspeisung von Kohlestrom gegeben habe.

VDMA Power Systems sieht derzeit im deutschen Markt „kein wirklich erfreuliches Bild“. Im Bereich konventioneller Energien gebe es einzig nach der Novelle des Kraft-Wärme-Kopplung-Gesetzes einen Aufholschub bei Motorenanlagen für diesen Bereich.

Zukunftsweisend seien Hybridlösungen, die sowohl erneuerbare wie auch konventionelle Energieträger wie Gaskraftwerke koppeln, ergänzt um Speicher. „Wir sollten in Deutschland die Chance nutzen, technischer und industrieller Vorreiter zu sein“, sagte Rainer Kiechl, stellvertretender Fachverbandsvorsitzender und Europa-Chef bei Mitsubishi Hitachi Power Systems.

Die erneuerbaren Energien sind laut BDEW in Deutschland weiter auf Wachstumskurs. Im ersten Quartal 2017 seien 50,1 TWh erzeugt worden, ein Plus von 4 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der VDMA sieht für die Windkraftanlagenbauer einen global stabilen Trend, vor allem Offshore lege zu.

Von Stephan W. Eder | VDI Nachrichten 27. April 2017 | Ausgabe 17

Partagez !